23 August, 2007

Reife

Alle Rollen, die wir spielen / leben, sind relativ zu bestimmten Verhältnissen, mindestens so stark von einem Gegenüber geprägt wie von unserer inneren Verfassung. Und es ist die Wechselwirkung zwischen diesen Polen, die die Frage nach der persönlichen Freiheit so heikel macht. Das betrifft die privaten Rollen wie die beruflichen. Wie sieht mich der Redakteur / Schauspieler / Kritiker? Wie will ich, dass er mich sieht? Was will er von mir? Was will ich von ihm?

Auch die Rolle, die man innerhalb einer Filmkultur inne hat, gibt ein Relief vor – und diese Maske entspricht unmöglich der Fülle unserer Möglichkeiten. „Die Gegenwart ist so knapp bemessen, dass man sich permanent daran verletzt”, meinte Rolf Dieter Brinkmann einmal. Gibt es einen Weg aus dieser Enge?

Meine Schwester hat eine Weile lang ihre Zehen trainiert, weil sie der Meinung war, unsere körperlichen Fähigkeiten seien Verpflichtung. Ich weiss nicht, ob sie ihre Briefe heute mit den Füssen schreibt, aber der Anspruch einer „Entfaltung” aller in uns schlummernder Möglichkeiten hat mich fasziniert. Scientology wirbt drohend mit der Behauptung, wir nutzten „nur zehn Prozent unseres geistigen Potentials”. Unabhängig davon, ob diese steile These haltbar ist, scheint es verlockend, Filme zum Beispiel wirklich aus der Fülle unserer Möglichkeiten, Erfahrungen und Sensibilitäten heraus herzustellen.

Man nennt es: Reife.

*

Ab und an werde ich gefragt, warum ich, der ich doch im privaten Leben so „positiv” sei (oder oder oder), so „depressive” Filme mache: „Du bist doch gar nicht so tragisch.” Ich sage dann meistens: „Ich will ganz verschiedene Filme machen” oder „Man sucht sich seine Themen nicht aus.” oder „Mein letzter Film ist doch eine Komödie.” aber ein leiser Zweifel bleibt.

Siehe oben.

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