15 März, 2015

Hipster?

Was ist ein Hipster? Ich etwa: Ein wendiger Großstädter, der sich über ein Code-Set definiert, das er sich mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter teilt, wobei dieser Dress- Sprech usw Code sich in einem gleichbleibendem Abstand zum Mainstream befindet; auf diesen zwar wirken möchte, aber nie mit ihm zusammenfallen darf. 

Interessanterweise gibt es zwar eine Menge Hipster in der deutschen Filmszene, aber keine hippen Filme. Jedenfalls fällt mir kein Beispiel ein. Warum ich das als (selbstdefinierter) Anti-Hipster bedauere? Weil ich gegen ein (gut) schaumschlagendes Kino weniger einzuwenden habe als gegen den simulierten Tiefgang. Ich vermisse ein Interesse an Oberflächen, die ganz unserer Zeit gehören.

Da fällt mir Frieda Grafe ein, die über Ernst Lubitsch schrieb:
„Mode ist nicht Nachahmen zuerst, sondern Wechsel. Lubitschs bevorzugter Drehbuchautor in Hollywood, Samson Raphaelson, erinnert sich, dass Lubitsch bei jedem Einfall immer zuerst sich vergewisserte, ob es auch ›different‹ sei - was anderes. So kommt es zu dem mechanischen Rhythmus seiner Filme; die Formen schnurren ab, als brauchten sie sich um Inhalte nicht zu kümmern.”
„Lubitschs Filme sind gemacht wie Mode und wirken wie Mode. Sie sind verführerisch. Sie wecken Wünsche und Lüste. Er demonstriert von innen, mit den Mitteln des Kinos, unsere Anfälligkeit für Ansteckung. Er zeigt ganz unverblümt, dass davon das Kino lebt. Wünsche und Lüste in der industriellen Gesellschaft sind nicht natürlich, sie sind berechnet.”

Ich will nicht behaupten, dass Lubitsch ein Hipster war. Aber seine Filme, besonders natürlich die „Sex Comedies” der 30er Jahre, entfalten ihre Raffinesse ganz an der Oberfläche ...

11 März, 2015

Schlachtplatte


SCHLEPPZUG M17, Heinrich Georges einzige Regiearbeit, funktioniert wie eine Schlachtplatte. Alles wird (nebeneinander) serviert, auch die Innereien. Der Film selbst ist aus den Fugen, die Nähte sind schmutzig. Da ist das herbe Idyll der Flussfahrt. Das City-Girl, das, wie in Murnaus SUNRISE, vorschlägt, man könnte die Ehefrau verunglücken lassen. Da sind die Stadtmontagen, die zwischen Rhythmus (Ruttmann) und Verité (Menschen am Sonntag) schwanken. Und da ist, als Magnet, als Zentrum, Georges Henner, ein Verlorener, noch bevor er der aparten Diebin verfällt.

Heinrich George war das, was man im Süddeutschen ein „gestandenes Mannsbild” nennt: nicht so sehr dick als „stark” (das war das Wort, wenn meine Großmutter anerkennend von schweren Männer sprach), im Spiel proletarisch breit, fast schmierenhaft, aber ein Genie darin, mit seinem Publikum „intim” zu werden. Es ist, als könnte man ihn riechen. Ekkehard Knörer hat seinen Stil kürzlich mit flacher Klinge als „Sentimentalitätsschauspielerei” abgewehrt, aber wie immer man Georges unreines, instinktnahes Spiel nennen möchte, mich elektrisiert es:

Wie er seine Pranke um die Hüfte der jungen Frau legt und wie ihm die gleiche Hand später zum Pfötchen wird, das einen Ballon hält, Luftschlangen im Haar. Seine wässrigen Hundeblicke, die den Abgrund der Enttäuschung offenbaren, weil die Befriedigung nicht von Dauer ist, weil der Hunger bleibt. Die Kraft und die Ohnmacht, die bei ihm kindisch zusammen gehen, nicht nur in diesem Film...

SCHLEPPZUG M17 ist am kommenden Samstag, 14.03.2015, 19 h, noch einmal im Zeughaus Kino zu sehen (als Teil der Werner Hochbaum Reihe; Hochbaum hat einige Zusatzaufnahmen für den Film gemacht). Im Zuge des 14. Hofbauer-Kongresses wurde zuletzt leidenschaftlich über den Film geschrieben, so von Sano CestnikOliver Nöding, Udo Rotenberg und Michael Kienzl.

07 März, 2015

Stateside

DIE LÜGEN DER SIEGER

Am 22. März 2015 wird DIE LÜGEN DER SIEGER in Boston zu sehen sein (Cooldige Corner Theatre), am 10. + 11. April werde ich meinen Film dann in New York (Cinema Village) persönlich vorstellen. Aus diesem Anlass findet am 11. April im Deutschen Haus ein Gespräch zwischen mir und der Künstlerin/Filmemacherin Amie Siegel statt. Thema ist Berlin im Spiegel des Kinos. Was uns insbesondere interessiert ist die Frage, wie man Stadt filmen kann, und welches Bild von Stadt die Berlin-Filme quer durch die Zeiten und Systeme produziert haben. Amie Siegel hat sich intensiv mit Berliner Filmgeschichte auseinandergesetzt, u.a. in ihrer schönen Arbeit „Berlin Remake”. DIE LÜGEN DER SIEGER ist der erste meiner Filme, der in Berlin spielt. Moderiert wird die Veranstaltung von Ulrich Baer.

Sergei Loznitsa - Facing History



Am 17. März mache ich im Roten Salon ein Revolver Live mit dem russisch-ukrainischen Regisseur Sergei Loznitsa. Aus dem Einladungstext:

„Von der „Vergangenheitsbewältigung” hierzulande wird oft behauptet, sie sei vorbildlich und einmalig. Sieht man einmal nur auf die Spielfilme, die in Deutschland zum Thema NS-Diktatur entstanden sind, kommt man zu einem anderen Schluss. Die stärkste Tendenz könnte man als Romantisierung der Ausnahme beschreiben. Besonders populär sind Geschichten, die den Krieg als „Schicksal“ beschreiben, in dem alle Opfer sind. Filme, die versuchen, die deutschen Verbrechen direkt zu adressieren, sind einsame Ausnahmen. 

Sergei Loznitsa, der seit 2001 in Deutschland lebt, hat sich in seinen Dokumentar- („Blockade”, „Die Vorstellung”, „Maidan") und Spielfilmen („Im Nebel”) immer wieder mit Geschichte konfrontiert. Die Vergangenheit ist für ihn „keine Schatztruhe, aus der man sich bedienen kann”, sondern „Bedingung unserer Gegenwart”, die es zu verstehen gelte. Anhand einiger Ausschnitte möchte ich mit ihm über die Frage diskutieren, wie man Geschichte erzählen, zeigen, filmen kann, ohne in die Fallstricke melodramatischer Personalisierung zu geraten und warum es „ohne Distanz kein Verständnis” geben kann, wie Loznitsa immer wieder betont.”

Das Gespräch wird auf Deutsch und Russisch stattfinden. Dolmetscherin: Olga Radetzkaja. Mit Videobeispielen. Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).

03 März, 2015

Sieben Jahre






Sieben Jahre ist das schon wieder her: Bilder von der Arbeit an SÉANCE. Fotos von Jörg Koopmann (wer dem Link folgt, findet auch Bilder von Romuald Karmarkar, Dominik Graf, Angela Schanelec u.a.).

02 März, 2015

Maschine


„Das Kino ist eine Maschine aus Bildern”, sagt Hollis Frampton. Und Tönen. Wozu ist diese Maschine gut, fragst du mich. Ich glaube, sie kann uns fühlen lassen, wer wir sind. Das heisst: unsere (Un-) Menschlichkeit, in allen Konfigurationen. Sie zeigt uns, wozu wir fähig sind. Das ist es jedenfalls, was sie mit mir macht: ich erlebe, was mit mir geschehen könnte, ich verstehe, wie unentwickelt ich bin.

(Geschrieben für die 700. Ausgabe der Cahiers)