06 März, 2018

Mehr Licht.

Schöne Grüße von F.W. Murnaus SUNRISE (USA 1927).

Als Le Corbusier 1935 zum ersten Mal nach New York kam, veranstaltete er eine Pressekonferenz, auf der er behauptete, das Empire State Building sei „viel zu klein” und die Amerikaner wären „zu schüchtern” um ihn zu beauftragen. Das Echo war gewaltig. Dreistigkeit ist unterhaltsam. Aber nicht nur das: sie provoziert ein Gefühl für das (Un-) Mögliche, lässt das Kollektiv-Unbewusste einer Gesellschaft zu Tage treten.

Daran musste ich denken, als die Berliner Schule 2013 ins MoMA geladen wurde. Nicht nur hat keiner von uns dem amerikanischen Kino vorgeworfen, „viel zu billig” zu sein, wir verhielten uns wie Diplomaten, die große Gesten vermeiden, weil sie wissen, dass man sie zuhause argwöhnisch beobachtet. Während uns die Gastgeber schon aus Gründen des Brandings zu den einzig legitimen Erben des „Neuen Deutschen Films” stilisierten, hatten wir alle ein Dementi auf den Lippen. 

Auf Deutschlandradio war der MoMA-Filmkurator Rajendra Roy damals zu hören mit der Einschätzung, er glaube, die Berliner Schule werde „in die Geschichte eingehen als eine der wichtigsten Bewegungen des Autorenkinos im 21. Jahrhundert.“, aber die Sendung wurde überschrieben mit dem Satz: „Manchmal ist das Leben eben auch langweilig”. Und der Spiegel fragte Christian Petzold stellvertretend, wie es sich anfühle, „museumsreif” zu sein. Klein denken, klein machen, klein fühlen.

Warum ich diese Kamellen aufwärme? Weil wir fünf Jahre später unter den selben „protestantischen Problemen” leiden: „Wir haben eine Filmkultur, die in ihren besten Momenten bescheiden ist, während das Unbescheidene fast immer ohne Ambition bleibt.” – lautete meine These 2016.

Vor ein paar Jahren, ich saß in Hörweite der Beiden, habe ich Kluge zu Herzog sagen hören: 'Werner, wir sind jetzt Filmgeschichte.' Den privateren Teil ihrer Unterhaltung habe ich nicht verfolgt, aber der Satz ist hängengeblieben, vielleicht, weil da zwei Legenden, indem sie eine Selbstverständlichkeit aussprachen, zu einfachen Sterblichen wurden, zu alten Männern, die sich über das Erreichte freuten. Und zugleich hat mich der Satz auch erschreckt, denn solche Perspektiven, das Selbstbewusstsein, die Welt herauszufordern, sind dem deutschen Kino weitgehend verloren gegangen seitdem. 

In einem schönen aktuellen Text schreibt Doris Dörrie: „Als ich Mitte der siebziger Jahre als eine von wenigen Frauen auf die Filmhochschule in München ging, wurde als wichtigste Eigenschaft für einen zukünftigen Regisseur Besessenheit verlangt. Wie ein Dämon sollte das Filmemachen einen quälen, würgen, um Schlaf und Verstand bringen, Genialisches aus den eigenen Untiefen hervorgekramt und ausgekotzt werden, alles der Vision eines großartigen Films geopfert werden.” Mit Recht macht sie im Fortlauf des Textes dieses Gehabe lächerlich, schreibt aber auch: „Macht ist anstrengend. Und manchmal auch hässlich. (...) Ich für meinen Teil habe sehr früh entschieden, dass ich keine großen Hollywoodproduktionen drehen wollte, obwohl ich die Gelegenheit dazu gehabt hätte.”

In einem Kommentar (ursprünglich als Tonspur für einen von Kevin B. Lee geplanten Videoessay gedacht) zu Hans Jürgen Syberbergs monumentalen HITLER-Film habe ich geschrieben: 
„Man braucht eine gute Portion Grössenwahn, ausladende Pelzmäntel, um unter den Bedingungen seiner Zeit einen solchen Film zu machen. Und natürlich muss man seine Autobiografie umschreiben, von früh an magisch vergrößern, denn schliesslich kann nur ein Zauberer Wunder wirken.”


Natürlich glaube ich nicht, dass genialisches Gehabe und schlechtes Benehmen auch künstlerische Dreistigkeit hervorbringen. Zwischen Großkünstlertum und künstlerischer Qualität besteht kein Zusammenhang. Und haben wir nicht gelernt, dass Termitenkunst der „White Elephant Art” überlegen ist? 

Und doch: Man kann in der Durchsetzung neuer Ideen nicht immer wohltemperiert und höflich bleiben und in alle Richtungen einen Knicks machen, wie das in unserer höfischen Förderkultur üblich geworden ist. Es ist psychisch und physisch kräftezehrend, etwas zu wollen, was alle Welt ablehnt – zumal jede große Idee ans Lächerliche grenzt. Manchmal helfen womöglich nur Arroganz und weiße Handschuhe, um den Zweifel – den der anderen und den eigenen  zu besiegen. Aber es hilft alles nichts, wenn das Neue nicht ersehnt und nicht erkannt wird.


So lange wir es unserer Förder- und Fernsehbürokratie erlauben, ihr Geschäft als Milchwirtschaft zu betreiben, die auf (pasteurisierte) Sahne aus ist, solange werden die „wilden sperrigen Filme”, die Tom Tykwer verständlicherweise vermisst, weiter auf sich warten lassen; sein Aufruf an die Filmemacher aber, „den Laden aufzumischen”, scheint mir zu kurz zu greifen: Für Positionen, die dem Neuen unverschämt ins Auge sehen, ist heute einfach erstaunlich wenig Platz. 


Natürlich kann man sich wünschen, dass die Filmemacher sich den notwendigen Freiraum erkämpfen, aber es ist kein Zufall, dass es wieder und wieder Debüt- und Abschlussfilme sind, die neue Impulse geben und als Hoffnung gehandelt werden, so wie es auch kein Zufall ist, dass der Elan spätestens nach dem zweiten oder dritten Film ausgebremst wird. 


Mit Ungeduld warte ich, nur zum Beispiel, auf die weitere Entfaltung so großer Talente wie Jessica Krummacher (TOTEM, 2011), Hannes Lang (PEAK, 2011 und I WANT TO SEE THE MANAGER, 2014), Ramon Zürcher (DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN, 2013), Anna Martinetz (FRÄULEIN ELSE, 2013) oder Max Linz (ICH WILL MICH NICHT KÜNSTLICH AUFREGEN, 2014, demnächst: WEITERMACHEN SANSSOUCI, 2018). Die Liste liesse sich fortsetzen.


Es mangelt dem deutschen Film nicht an Begabungen, aber an der Intelligenz, sie zu erkennen und zu entwickeln. Zur Unreife unserer Filmkultur gehört es aber auch, Altmeister von Hartmut Bitomsky bis Helke Sander unsanft aufs Altenteil abzuschieben, obwohl noch vieles von ihnen zu lernen wäre. Was fehlt ist letztendlich der Respekt für den kreativen Funken, der alles erst in Bewegung setzt, während umgekehrt die Institutionen Demutsgesten fordern und bekommen. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn die Flamme nicht heller brennt.

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